Cannstatter Volksfest Vom Wasen-Stammgast zur Wasen-Wirtin – ein Traum wird wahr

02.10.2023 – 15:26 Uhr

– Uwe Bogen (Stuttgarter Zeitung)

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Die Unternehmerin Martina Böhringer-Zinser nimmt sich zur Wasenzeit frei, um Wirtin einer Weinbar beim Volksfest zu werden. Foto: /Ramunno

Seit 30 Jahren ist Martina Böhringer-Zinser Chefin einer Personalservicefirma. In der Volksfestzeit aber wird alles anders. Dann nimmt sie frei, um Chefin der Taos Lodge im Dinkelacker-Zelt zu werden. Von einer Liebe zum Wasen und zum Wein beim Bierfest.

Diese verrückten Tagen sind nicht zum Schlafen da! Martina Böhringer-Zinser, die beruflich normalerweise nichts mit Gastronomie zu tun hat, kommt gerade nicht vor 4.30 Uhr in der Früh ins Bett. Um 9 Uhr steht sie bereits wieder auf. Das Volksfest, auf dem die Stuttgarterin mit viel Leidenschaft für 17 Tage die Weinbar Ta Os Lodge im Dinkelacker-Zelt von Klauss & Klauss führt, endet zwar um 23 beziehungsweise 24 Uhr. Doch von 0.30 bis 3 Uhr fährt die Chefin noch eine Sonderschicht.

Nachts treffen sich die Schausteller bei ihr

In diesen Nachtstunden ist bei ihr geschlossene Gesellschaft. Dann treffen sich die Schausteller nach getaner Arbeit, um noch was zu trinken und den Tag zu besprechen. Auf dem Wasen gibt es zwei Orte, die nach Mitternacht – wenn sich das „normale Publikum“ auf den Heimweg befindet – für Beschäftigte des Volksfestes geöffnet sind. Einer dieser Ort ist die Taos Lodge.

Martina Böhringer-Zinser fährt, sobald die letzten Schausteller gegangen sind, mit den Tischdecken nach Hause, um diese selbst zu waschen. Normalerweise ist sie geschäftsführende Gesellschafterin ihrer Zeitarbeitsfirma mit 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dort ist sie es gewohnt, Arbeiten zu delegieren. Doch wenn sie dort für drei Wochen frei nimmt, um ihrem geliebten Zweitjob auf ihrem geliebten Volksfest nachzugehen, muss sie alles selber machen.

Der Stress ist groß – doch die viele Volksfest-Arbeit macht ihr nichts aus, wie sie sagt. Schon immer besuchte sie den Wasen sehr gern, fühlte sich besonders wohl in der Taos Lodge, wo es exklusive Weine gibt, wo man im Festzelt hockt, aber doch separat. Alexander Dohnt führte die Bar, die nach dem mexikanischen Geburtsort Taos seiner früheren Frau benannt ist. Man kennt ihn auch von Taos by Lausterer, seinem Lokal in der Innenstadt.

Als sich Dohnt vor zwei Jahren vom Volksfest zurückzog, hob Martina Böhringer-Zinser sofort die Hand. Schon immer habe sie davon geträumt, auf dem Wasen in einer besonderen Location, die mit schöner Dekoration („Man nennt mich die Deko-Queen“, sagt die Wirtin) und einer herausragenden Auswahl an guten Weinen und Champagner besticht, Gäste zu bewirten. Dieser Traum wurde im vergangenen Herbst nach der Corona-Pause wahr. Vom Stammgast wurde sie zur Wirtin. Jetzt ist sie im zweiten Jahr dabei. Ihre gesamte Familie hilft ihr auf dem Wasen. Der Kontakt zu den Menschen macht ihr viel Spaß. Abend für Abend wird gefeiert.

Es gibt bei ihr Abfüllungen von Weinen, die bei Sammlern hochgeschätzt sind

 

„Vor einem Jahr hab’ ich ordentlich draufgelegt“, sagt die Frau mit den zwei Berufen. In diesem Jahr hoffe sie, „dass es Null auf Null“ aufgeht. Sie freut sich, dass sie ihre Liebe für den Wasen und für den Wein zusammenbringen kann. Geld spielt dabei nicht die entscheidende Rolle. Vor 15 Jahren, erzählt Böhringer-Zinser, habe sie sich geärgert, als sie in einem exklusiven Restaurant einen sehr teuren Wein bestellte, der sich dann aber als schlecht herausgestellt habe. Die taffe Chefin eines Unternehmens für Personalvermittlung fing an, ihr Weinwissen zu verbessern.

Zwar gibt es bei ihr in der Taos Lodge auch Bier – ein Pils zum Einstieg etwa oder eine Drei-Liter-Flasche von Dinkelacker –, doch der Schwerpunkt liegt ganz klar bei exklusiven Weinen, Sekt und Champagner. Bei Sammlern hochgeschätzte Abfüllungen von Weinen werden in Großflaschen aus Österreich, Deutschland und der Stuttgarter Region – also von 1,5-Liter Magnum-Flaschen bis hin zur 20-Liter Salomon-Flasche – angeboten.

„Es gibt viele Wasenfans, die unter Genuss nicht Bier verstehen“, sagt die Wirtin. Eine „coole Gesellschaft“, berichtet sie, versammelt sich in der Lodge. Wirtschaftsbosse und Banker gehen hier ein und aus. Als eine Firma ihr 30-jähriges Bestehen feierte, bestellt der Chef ein Großflasche für 2000 Euro. Champagnerflaschen werden mit dem Säbel geöffnet, wie einst von Napoleon. Auf diese Weise soll nicht ein Tropfen des wertvollen Getränks verspritzt werden – das Schäumen und Vergeuden überlässt man Formel-1-Gewinnern.

Reserviert sind ihre 20 Tische nicht immer vollständig. „Man kann auch spontan kommen“, sagt sie. Es ist nicht leichter geworden, Umsatz zu machen. Besondere Events sollen verschiedene Zielgruppen anlocken. Am 3. Oktober heißt es bei ihr „Gay Goes Wild“. Erwartet wird Maurice Schmitz, der amtierenden Mister Gay Germany. DJ Anrey legt auf, ehe er nach Dubai umzieht. Dass es in der Gay-Community heißt, sie habe ihre Veranstaltung für Queere abgesagt, stimme nicht. „Nicht jeder will bei Gaydelight in einem gefüllt Zelt feiern“, sagt die Wirtin, „sondern gern auch in einem kleinen Kreis bei uns.“

Wenn’s Eiswürfel regnet

 

Der Wasen wird von den Brauereien dominiert. Mit den Maßkrügen ist beim Volksfest alles ein bisschen größer als in Stuttgarter Kneipen, wo es meist die Halbe gibt. Auch in der Taos Lodge ist’s mit den Flaschen alles größer als gewohnt. Zu jeder volle Stunde gibt’s eine Attraktion, die ein beliebtes Selfiemotiv ist: Es regnet Eiswürfel vom Barhimmel herunter auf den Thekenbereich mit den Weinen und Champagner. Über der Bar kann die Decke geöffnet werden.